Relikt des Kalten Krieges: das Hilfskrankenhaus Gunzenhausen

1963: der Kalte Krieg hat einen weiteren Höhepunkt hinter sich, eine Eskalation der Kuba Krise 1962 konnte nocheinmal abgewendet werden. Die Sowjetunion verzichtete auf die Stationierung von Atomraketen vor der Haustür der USA, die NATO tat ähnliches in der Türkei.
Auch die Berlinkrise, die Volksaufstände in der DDR und Ungarn oder der Mauerbau konnten ohne militärische Auseinandersetzungen „über die Bühne gebracht werden.“ Die Bedrohungslage war allerdings unverkennbar. Um auch im Kriegs- oder Spannungsfall die medizinische Versorgung aufrecht erhalten zu können, vor allem wenn die Ballungszentren schon in Mitleidenschaft gezogen worden sind, wurden an deren Rändern so genannte Hilfskrankenhäuser ausgewiesen bzw. gebaut. Die Ausführungen waren durchaus unterschiedlich und reichten von für den Krankenhauseinsatz vorbereiteten Turnhallen oder Schulgebäuden bis zum vollausgebauten, ABC-sicheren „Krankenhausbunker“ (näheres zum Thema findet man auf geschichtsspuren.de). Die letztgenannte Variante war natürlich die seltenste, schon allein aus Kostengründen. In der mittelfränkischen Stadt Gunzenhausen befindet sich unter der Berufsschule ein solches Hilfskrankenhaus, unter dem benachbarten Gymnasium und der Realschule jeweils eine teilausgebaute Variante.
Warum hier und warum gleich so gehäuft? Hier lassen sich letztlich nur Vermutungen anstellen. Gunzenhausen liegt ca. 50km vom Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen entfernt, dies wurde in den 60ern im Falle eines Atomschlags als sichere Entfernung eingestuft, des Weiteren gibt es in der Stadt keine kriegswichtige Industrie und zur damaligen Zeit auch keine militärischen Einrichtungen in der Nähe. Folglich sollten die drei Hilfskrankenhäuser dann auch die Krankenhäuser im Ballungszentrum im Fall der Fälle ersetzen. Ob es im Kriegsfall allerdings möglich gewesen wäre, diese Patientenmengen den weiten Weg nach Gunzenhausen zu bringen, sei dahingestellt. Neben den in den 60ern schlechter ausgebauten Straßen, hätte es sicherlich auch Probleme gegeben, eine entsprechende Menge Transportmittel bereit zu stellen.

Was ist nun das besondere am Hilfskrankenhaus Gunzenhausen? Neben dem Vollausbau und seiner Größe (ca. 600 Patienten hätten Platz gehabt), ist es die Tatsache, dass das Krankenhaus bis in die Mitte der 90er nahezu unverändert erhalten wurde! Während viele Bunker und Schutzräume mit Ende des Kalten Krieges rückgebaut und umgewidmet wurden, das Inventar verkauft, verschenkt oder gespendet wurde, erweckt Gunzenhausen beinahe den Eindruck, als könnte der Komplex jederzeit wieder reaktiviert werden.

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Grundriss

4000m², drei Jahre Bauzeit, 60cm Stahlbeton mit Bleischicht, Überdruck-Belüftung, eigener Tiefbrunnen, eigene Stromversorgung, vier Operationssäle, 15 Krankenzimmer, zwei Röntgenräume und ein Labor. Das alles 5m unter der Berufschule, erreichbar über eine unscheinbare Treppe am Vorplatz. Baukosten: 3,8 Millionen DM.

 

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Blick vom Chefarztzimmer in die Anlage

Willkommen in einer anderen Welt. Im Gegensatz zu anderen Schutzräumen und Bunkern ist diese Anlage recht großzügig angelegt, schließlich hätte man die Gänge ja mit Krankenbetten befahren müssen. Im Bunker selbst gibt es natürlich alles, was für einen autarken, 14-tägigen Betrieb notwendig gewesen wäre. Auch gegen das Eindringen atomarer, biologischer oder chemischer Kampfstoffe war die Anlage geschützt, atombombensicher war sie aber nicht.

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Lüftungsanlage (im Hintergrund der Zugang zum Quarzsandfilter)

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ABC-Filter

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Dieselgenerator

12 Ärzte hätten sich, zusammen mit 24 Krankenschwestern und 60 Hilfsschwestern, um das Wohl der Patienten kümmern sollen. Hierfür standen, neben den bereits erwähnten Operationssälen, zwei Aufwachstationen und sogar zwei Kinderkrankenzimmer zur Verfügung.

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Aufwachstation

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Kinderbetten

Um diese Menge an Personen versorgen zu können, benötigt man natürlich auch eine Küche. Vier Autoklaven, vergleichbar mit großen Schnellkochtöpfen, stehen dort zur Verfügung. Es hätte wohl überwiegend Suppen und Eintöpfe gegeben.

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„Schnellkochtöpfe“ im Küchenbereich

Was allerdings völlig fehlt, ist ein Speisesaal, die Patienten hätten alles in den Krankenzimmern zu sich nehmen müssen, außer Betten gab es dort allerdings auch nicht viel.

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einer der 13 Krankenräume für Erwachsene (wie kriegt man Verletzte und Kranke wohl in die zweite Etage?)

Neben den Betten, Matratzen und Kissen findet man in den Lagerräumen aber noch allerlei andere für den Betrieb nötige Gegenstände. Größtenteils originalverpackt und seit den 60ern eingelagert. Kleidung, Schuhe, Bettpfannen, Decken, Laken, Bettpfannen, Schnabeltassen, Krankentragen und vieles mehr. Alles ist noch da und wartet auf seinen Einsatz. Bis auf Lebensmittel und Medikamente ist das Hilfskrankenhaus noch annähernd voll bestückt.

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Das ist das Besondere an Gunzenhausen. Im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen dieser Art, wurde das Inventar nicht mit dem Ende des Kalten Krieges entsorgt oder abgegeben. Außer den Röntgengeräte und der Laboreinrichtung wurde fast alles aufgehoben oder vergessen?
Das Krankenhaus war in seiner langen Geschichte dreimal im Einsatz. Das erstemal 1986 im Rahmen einer Übung, 1989 als kurzfristiges Übergangslager für DDR-Aussiedler und 1990 für rumänische Aussiedler.

Ihr habt es sicher schon gemerkt, Cache gibt es dort keinen, der unterirdische Komplex ist nur im Rahmen einer Führung zugänglich, die regelmäßig von der vhs Gunzenhausen angeboten werden. Aber auch ohne Dose ein wirklich interessanter Ort.

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man beachte das Lieferdatum

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Sauerstoffflaschen im OP-Bereich

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originalverpackte Instrumente

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Säge, Spritze, Kanülen

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Batterie für die OP-Leuchte

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Büro und Schlafzimmer des Chefarztes. Hätte er sich nur mit zwei anderen teilen müssen.

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Schiffsdiesel zur Stromerzeugung

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Stromversorgung

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Schalttafel

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weitere Hilfskrankenhäuser in Bayern

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